Heterogeneidad
pasvombv23 de Junio de 2015
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1. Einleitung
„Podría decirse que mestizaje es el más poderoso y extendido recurso conceptual con que América Latina se interpreta a sí misma [...]“ (Cornejo 1994: 368).
Mit diesen Worten charakterisierte der peruanische Literatur- und Kulturwissenschaftler Antonio Cornejo Polar noch Mitte der 1990er Jahre die Bedeutung des mestizaje; jener Konzeption Lateinamerikas als „Vermischung“ von indigener, europäisch- und ggf. afrikanischstämmiger Bevölkerung, der heute vor allem nachgesagt wird, ein falsches Bild homogener Gesellschaften erzeugt zu haben, das kreolische Gruppen dazu nutzten, um ihre hegemoniale Stellung zu sichern. Dabei gilt der mestizaje mehr als Ideologie und literarischer Topos, denn als wissenschaftliches Paradigma (vgl. Lienhard, 1996: 65-67).
Im Prozess der lateinamerikanischen Identitätsbildung erfüllte der mestizaje-Diskurs zwei unterschiedliche Funktionen, die eng an den Prozess der politischen Unabhängigkeit und der Nationenbildung gekoppelt waren. Während der mestizaje im 19. Jahrhundert das authentisch Amerikanische repräsentierte, das Lateinamerika von Europa, aber auch vom angloamerikanischen Norden unterschied, wurde der Begriff im 20. Jahrhundert zur Konsolidierung verschiedener nationaler Identitäten herangezogen und so nun zum Inbegriff für lo méxicano, lo cubano oder lo brasileño (Martínez Echazábal 1998: 21).
Als charakteristisch für den mestizaje gilt seinen Kritikern das Negieren und Verschleiern gesellschaftsinterner Differenzen, Konflikte und Machtgefüge, dessen Ziel es letztlich ist, den gesellschaftlichen Status quo, d. h. die politische, wirtschaftliche und kulturelle Dominanz der Kreolen, aufrecht zu erhalten. Auch wenn nicht völlig unumstritten ist, ob der mestizaje tatsächlich stets eine harmonische und konfliktfreie Vermischung bedeutete, lassen sich in der kritischen Diskussion zwei weit verbreitete Annahmen erkennen: Zum einen wird der mestizaje als nationalistische Ideologie betrachtet, die dazu dient, einen homogenen „Mestizo-Charakter“ oder eine „Mestizo-Zukunft“ der Nation zu beschwören, die dem Entwurf ethnisch und kulturell diverser Nationen entgegensteht. Zum anderen wird der mestizaje als nationalistische Ideologie gesehen, die zwar einen einen integrativen Prozess suggeriert, aber gleichzeitig indigene oder afrikanische Abstammung diskriminiert (Wade 2005: 240).
Auch aufgrund seiner rassistischen Implikationen steht das Konzept des mestizaje in der Kritik. Im 19. Jahrhundert bezog sich mestizaje zunächst die biologische „Vermischung von Rassen“, die im Denken der Zeit auch eine kulturelle Vermischung mit sich brachte. Unter anderem gipfelte die Idee des mestizaje 1925 in der Proklamation einer überlegenen raza cósmica durch den mexikanischen Schriftsteller und Politiker José Vasconcelos. Nach Vasconcelos sollte diese raza cósmica durch die Kreuzung der „überlegenen weißen Rasse“ mit weiteren positiven Eigenschaften der übrigen „Rassen“ entstehen. Erst ab den 1930er Jahren verschob sich die Bedeutung von mestizaje von einem biologisch-rassistisch geprägten Begriff zu einem vorwiegend kulturellen Begriff (Blum 2001: 94).
Auch wenn Cornejo Polar 1994 noch die verbreitete Selbstinterpretation Lateinamerikas im Sinne der Ideologie des mestizaje konstatierte, wurden insbesondere in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einige Theorien zur kulturellen Interpretation Lateinamerikas formuliert, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Anthropologie, Literaturwissenschaft oder den Cultural Studies entstammen. Über diese Kulturtheorien wurde in der Folge von lateinamerikanischen Kritikern teilweise heftig diskutiert. Eine der einflussreichsten Theorien ist dabei die Heterogenitätstheorie von Cornejo Polar selbst. Im Folgenden werden die Heterogenitätstheorie und zwei weitere bedeutende Theorien – die auf Fernando Ortiz und Ángel Rama zurückgehende Transkulturationstheorie sowie Néstor Canclinis Hybriditätstheorie – jeweils kurz skizziert, um anschließend jeweils auf ihre kritische Rezeption einzugehen.
2.1 Die Heterogenitätstheorie
Das Konzept der Heterogenität verdeutlicht Cornejo Polar erstmals 1978 in seinem Artikel „El indigenismo y las literaturas heterogéneas: Su doble estatuto sociocultural“. Zwar formuliert Cornejo Polar in diesem Artikel eine im eigentlichen Sinne literaturtheoretische Idee, die jedoch - darauf deutet bereits der Titel des Artikels hin - in starkem Maße soziokulturelle und politische Aspekte impliziert.
Mit der Heterogenitätstheorie greift Cornejo Polar den Gedanken José Carlos Mariáteguis auf, der Peru 1928 in seinen Siete Ensayos de Interpretación de la Realidad Peruana aus marxistischer Sicht analysiert und zu dem Schluss kommt, dass das Land in hohem Maße durch die Conquista geprägt und tief gespalten sei. Der semi-feudalen Andenwelt der indígenas steht nach Mariátegui die kapitalistische und von Kreolen bewohnte Küstenregion gegenüber (Cornejo Polar, 1978: 7-8). Cornejo Polars Ansicht nach dauert die Zweiteilung des Landes auch 50 Jahre nach Mariáteguis Siete Ensayos weiterhin an und ist durch eine „relación de dominación y dependencia“ (ibid: 17) gekennzeichnet.
Mariátegui sieht in der peruanischen Literatur die ästhetische Repräsentation der gesellschaftlichen und kulturellen Spaltung Perus und hält daher ein besonderes Modell der Literaturinterpretation für notwendig:
El dualismo quechua-español no resuelto aún hace de la literatura nacional un caso exepcional que es imposible estudiar con el método válido para las literaturas orgánicamente nacionales, nacidas y crecidas sin la intervención de una conquista. (zitiert nach Cornejo Polar 1978: 8)
Dieses Modell zur Literaturinterpretation, das der soziokulturellen Heterogenität Rechnung tragen soll, entwickelt später Cornejo Polar. Literarische Heterogenität entsteht laut Cornejo Polar durch einen Literaturprozess, an dem zwei (oder mehrere) miteinander in Konflikt stehende soziokulturelle Systeme beteiligt sind. Wenn mindestens eine Instanz des Literaturprozesses, d.h. Autor, Referent, Text, Genre, Rezipient, Produktions- oder Konsumform zu einem anderen soziokulturellen System gehört, spricht Cornejo Polar von heterogenen Literaturen. Als homogene Literaturen charakterisiert er hingegen Literaturen, in denen sich der Literaturprozess vollständig innerhalb ein und desselben soziokulturellen Systems abspielt (ibid: 11-12).
Im Fall der literatura indigenista, auf die sich Cornejo Polar insbesondere bezieht, ist der Referent die indigene Bevölkerung im Andengebiet, wohingegen die Autoren und Leser der kreolischen Kultur der Küstenregion zuzurechnen sind. Darüber hinaus folgen die Produktion und der kommerziell orientierte Vertrieb sowie die Genres Kurzgeschichte und Roman den Normen der hegemonialen westlichen Zivilisation und Kultur, die der mündlichen Literaturtradition der indígenas fremd sind (ibid: 16).
Nach Ansicht Cornejo Polars (ibid: 8) ist die soziokulturelle Heterogenität in allen lateinamerikanischen Regionen gegeben, in denen die indigene Bevölkerung durch die Conquista dezimiert wurde oder das Sklavensystem herrschte. Die Theorie der literarischen Heterogenität ließe sich somit nicht nur auf die literatura indigenista im Andenraum, sondern auch auf andere „literaturas situadas en el conflictivo cruce de dos sociedades y dos culturas“ (ibid) anwenden: die literatura negrista in der Karibik und in Mittelamerika, die literatura gauchesca in den La-Plata-Staaten und in gewissem Umfang auch auf die Literatur des real maravilloso.
Einige Jahre nach der Einführung des Konzepts der heterogeneidad literararia, das sich bereits gegen das Bild einer homogenen Nationalliteratur wendet, spricht Cornejo Polar (1983: 37-50) von einer totalidad contradictoria in Bezug auf die Literatur in Peru, womit er die Existenz verschiedener literarischer Systeme in Peru (culto, popular und indígena) mit gegensätzlichen Eigenschaften und einer hierarchischen Ordnung untereinander meint.
3.1 Zur Rezeption der Heterogenitätstheorie
Cornejo Polars Heterogenitätstheorie stieß – zumindest in den Artikeln, die im Rahmen dieser Hausarbeit untersucht wurden – auf breite positive Resonanz.
Eine der wenigen negativen Kritiken ist jene Roberto Paolis (1997: 493-501), der die Existenz von Mariáteguis Kategorie der „literaturas orgánicamente nacionales“ (498) anzweifelt und Cornejo Polars Konzept der heterogeneidad literaria als schwer anwendbar und zu allgemein betrachtet, um den Charakter des indigenismo zu erfassen. Paoli verdeutlicht seine Kritik u. a. am Beispiel Italiens, das durch den Gegensatz zwischen industriellem Norden und landwirtschaftlichem Süden geprägt sei. Auch in Italien schrieben Autoren aus dem Norden über die Welt des ländlichen Südens, die ansonsten vom literarischen Prozess ausgeschlossen sei. Weiterhin bezweifelt Paoli, dass eine „visión interior“ (494) der Andenwelt im indigenismo kategorisch ausgeschlossen sei und verweist auf die Gefahr, den indígena zum „ser impenetrable para el occidental“ (494) zu erklären und jeglichen Versuch des Verstehens von vorneherein zum Scheitern zu verurteilen.
José Ignacio López Soria (1996: 505-510) sieht methodologische Schwierigkeiten hinsichtlich der totalidad contradictoria, zu der Cornejo Polar über die folgenden drei Schritte gelange: „negar la unidad, afirmar la pluralidad y negar valor nacional a algunas de las objectivaciones de esa pluralidad“ (508). Bereits durch den ersten Schritt negiere Cornejo Polar die
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